Brief von Kurt Beck und Hubertus Heil zur Diskussion um Hartz IV

Veröffentlicht am 09.10.2007 in Aktuell

Liebe Genossinnen und Genossen,

die SPD arbeitet seit bald 10 Jahren in Regierungsverantwortung für ein modernes und soziales Deutschland. Unser Ausgangspunkt 1998 war ein Deutschland, das nicht mehr auf seine Kräfte vertraute, das sich mit der Chancenlosigkeit von Millionen Arbeitsloser abzufinden drohte, ein Land, das nicht mehr glaubte, den Aufbau Ost zu meistern, das unentschlossen auf die Globalisierung reagierte und das seinen guten Ruf als Bildungsnation zu verspielen drohte.

Heute steht unser Land besser da. Wirtschaftswachstum und sinkende Arbeitslosigkeit, stabilere Sicherungssysteme, rückläufige Staatsverschuldung, Entlastung der Kommunen, mehr Investitionen für Kinderbetreuung und Bildung, für Wissenschaft und Forschung, für ökologische Erneuerung und Klimaschutz – die Reformen der Agenda 2010 waren richtig und zeigen Wirkung. Diesen Kurs setzt die SPD in der Großen Koalition fort.
Unsere Reformen haben den Arbeitsmarkt in Bewegung gebracht. Ehemalige Sozialhilfeempfänger werden besser gefördert und die Vermittlung in Arbeit ist effektiver geworden. Die soziale und wirtschaftliche Entwicklung seit dem Beschluss über die Agenda 2010 war nicht frei von Problemen. Wo es nötig ist, ergreifen wir deshalb die Initiative, damit der Aufschwung alle Menschen erreicht und sich die Chancen auf gute Arbeit verbessern:

Die Lebensleistung Älterer anerkennen und ihre tatsächliche Arbeitsmarktlage bei der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld berücksichtigen: Das Armutsrisiko älterer Arbeitnehmer ist gestiegen. Bei vielen ist die Angst vor sozialem Abstieg gewachsen. Noch immer haben ältere Arbeitnehmer größere Schwierigkeiten einen Job zu finden als gleich qualifizierte jüngere Arbeitnehmer Unser Hauptziel bleibt die Verbesserung der Beschäftigungschancen für Ältere. Dazu dient die von Arbeitsminister Franz Müntefering entwickelte Initiative 50plus. Im Zuge des demografischen Wandels brauchen die Unternehmen zunehmend die Erfahrung und das Leistungsvermögen ihrer älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir wollen jedoch auch ein Signal für die bessere Anerkennung der Lebensleistung geben und die tatsächliche Arbeitsmarktlage der Älteren bei der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I berücksichtigen. Deshalb streben wir an, nach Vollendung des 45. Lebensjahres einen Bezug von bis zu 15 Monaten, nach Vollendung des 50. Lebensjahres von bis zu 24 Monaten zu ermöglichen. Die Kosten dieses Vorschlags belaufen sich auf rund 800 Millionen Euro, die aus den Überschüssen der Bundesagentur für Arbeit zu finanzieren sind. Wir können dennoch zum 1. Januar 2008 die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung weiter auf 3,9% absenken und damit Abgabenbelastung der Arbeitnehmer reduzieren.

Es gibt in der SPD über dieses Detail eine intensive Diskussion. Wir haben überhaupt nichts dagegen einzuwenden, dass wir solche Diskussionen miteinander in dieser Fairness führen, wie dies derzeit geschieht.

Missbrauch von Leiharbeit bekämpfen:
Die Arbeitnehmerüberlassung ist und bleibt ein für den Arbeitsmarkt wichtiges Instrument. Der Anstieg der Zahl der Leiharbeiter auf heute über 600.000 ging jedoch mit der Entwicklung einher, dass zunehmend reguläre Stammbelegschaft durch Leiharbeiter ersetzt wird. Diesen Missbrauch werden wir bekämpfen. Wir wollen Mindestlöhne in der Branche verwirklichen und sicherstellen, dass nach einer Übergangszeit gleicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt wird.

Flexible Rentenzugänge ermöglichen: Die weit vorausschauende und schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 bis zum Jahr 2029 ist eine notwendige Konsequenz aus der erfreulichen Tatsache, dass die Menschen länger leben. Viele Menschen können und wollen länger im Beruf bleiben. Wem aber nach Jahrzehnten harter Arbeit in körperlich oder psychisch belastenden Berufen die Kraft ausgeht, dem wollen wir flexible und gesicherte Wege in den Ruhestand eröffnen. Deshalb wollen wir unter anderem den Bezug einer Teilrente ab dem 60. Lebensjahr erleichtern.

Kinderarmut bekämpfen: Aufgrund der ansteigenden Kosten für den Lebensunterhalt prüft das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Auswirkungen auf die Bezieher von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe. Wir wollen ein Abrutschen in Armut verhindern. Wir legen besonderes Augenmerk auf die Verhinderung von Kinderarmut. Wir fordern einen Nationalen Pakt gegen Kinderarmut, der gezielte Hilfen bereitstellt (zum Beispiel Beitragsfreiheit der Kindertagesstätten, kostenfreie Mittagessen). Zudem prüfen wir, ob einmalige Beihilfen die Situation der Kinder verbessern kann.

Wir bereiten entsprechende Anträge sorgfältig vor und werden sie in der Sitzung des Parteivorstandes am 22. Oktober beschließen. Der Parteitag wird in diesen Fragen entscheiden und diese Entscheidungen werden gelten.

Unsere Ziele sind wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Wachstum und umfassende Beteiligung der Menschen an guter Arbeit. Wir setzen die Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme fort. Wir wollen bessere Qualifizierung und gleichberechtigte Integration in den Arbeitsmarkt, anstelle von Isolation oder Ausgrenzung von gering Qualifizierten, eingeschränkt Erwerbsfähigen oder Langzeitarbeitslosen. Dabei werden wir auf individuelle Lebenslagen achten.

Mit freundlichen Grüßen
Kurt Beck - Hubertus Heil